Kundalini Yoga ist eine Ausrichtung innerhalb des Tantra Yoga, deren Fokus auf der Erweckung der Kundalini-Energie liegt und darauf, diese durch die Energiezentren des Körpers zu lenken. Die Theorie hinter dieser Yoga-Form basiert auf dem Konzept, dass im menschlichen Körper eine immense Kraft schlummert, die durch die richtige Praxis erweckt werden kann. Diese Kraft ist Prana (Lebensenergie), die sich im Shusumna Nadi konzentriert und als Kundalini-Energie von unten nach oben aufsteigt.
Diese Kraft, bekannt als Kundalini, wird symbolisch als eine zusammengerollte Schlange am unteren Ende der Wirbelsäule im Bereich des Muladhara-Chakras (Wurzelchakra) dargestellt. Durch spezielle Techniken soll diese Energie erweckt und entlang der Wirbelsäule durch die sieben Hauptchakren nach oben geleitet werden, bis sie schließlich das Sahasrara-Chakra (Kronenchakra) erreicht.
Allgemeine Information zum Thema Kundalini Yoga
Als Praktizierender der Mantra-Meditation und basierend auf persönlicher Erfahrung möchte ich bereits zu Beginn des Artikels zum Thema Kundalini aufklären. Wir können Kundalini nicht zwingen, aktiv zu werden, noch können wir die Kundalini-Energie kontrollieren. Durch die Reinigung der Koshas können wir jedoch die Voraussetzungen für eine Aktivierung der Kundalini schaffen.
Die vollständige Aktivierung von Kundalini werden wir bewusst niemals wahrnehmen können, denn wenn das geschieht, befinden wir uns im Zustand des Samadhi – dem tiefsten Zustand der Meditation. Der natürlichste und sicherste Weg zur Aktivierung der Kundalini-Energie ist daher die Fähigkeit, in tiefe Meditation zu gehen.
Ursprung und historische Entwicklung
Die Ursprünge dieser Yoga-Form lassen sich auf die alten vedischen Schriften zurückführen, die vor über 5000 Jahren in Indien verfasst wurden. Diese Schriften, insbesondere die Upanishaden, enthalten detaillierte Beschreibungen der Energien im menschlichen Körper und ihrer Verbindung zu höheren Ebenen des Bewusstseins. Ein zentraler Text, der das Konzept der Kundalini erläutert, ist die Hatha Yoga Pradipika, die im 15. Jahrhundert von Swatmarama verfasst wurde. Diese Schrift beschreibt verschiedene Techniken zur ihrer Erweckung und Bewegung durch die Chakren.
Ein weiterer bedeutender Text ist die Shiva Samhita, ein Werk aus dem 17. Jahrhundert, das die verschiedenen Praktiken zur Stärkung der Kundalini-Energie detailliert darstellt. Auch die Gheranda Samhita, ein weiterer Klassiker des Hatha Yoga, enthält ausführliche Anweisungen zur Erweckung und Lenkung dieser Energie. Erst im 20. Jahrhundert brachte der spirituelle Lehrer Yogi Bhajan diese Praxis in den Westen und machte sie einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich.
Sushumna, Ida und Pingala
Das Prinzip der Kundalini, dargestellt als zusammengerollte Schlange in unserem Becken, verweist auf unser spirituelles Potenzial und dient gleichzeitig als schönes Gleichnis dafür. Wir können jedoch immer nur die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Kundalini aufsteigt. Die sicherste Methode, um Kundalini zu erwecken, ist tiefe Meditation. Unter der Aufsicht eines erfahrenen Lehrers können wir aktiv Einfluss nehmen, indem wir Blockaden beseitigen, damit die Kundalini sich von selbst entscheidet aufzusteigen. Dieser Aufstieg erfolgt dann im Shusumna Nadi.
Sushumna Nadi
Shusumna Nadi wird aus dem Sanskrit als „Kanal“ übersetzt. Dieser Kanal gilt als der wichtigste Nadi im gesamten Energiesystem des Körpers, da er die Chakren entlang der Wirbelsäule bis zum Kopf verbindet. Es ist wichtig zu verstehen, dass wir Menschen emotionale und energetische Blockaden in den Chakren haben.
Meditation gilt deshalb als so sicher, weil tiefe Meditation eine gewisse Balance in den Chakren voraussetzt. Wenn sich die Kundalini dann erhebt, geschieht dies auf natürliche und sichere Weise. Versuchen wir jedoch, die Kundalini durch energetische Techniken in Bewegung zu setzen, und sie stößt dabei auf tiefsitzende Blockaden in den Chakren, werden diese nur noch verstärkt.
Ida und Pingala
Ida fließt auf der linken Seite des Körpers und symbolisiert die Mondenergie, während Pingala auf der rechten Seite fließt und die Sonnenenergie repräsentiert. Beide Nadis kreuzen sich entlang der Wirbelsäule und treffen schließlich in der Shusumna Nadi zusammen. Ohne die Balance von Ida und Pingala kann die Kundalini-Energie nicht aufsteigen.
Kundalini ist konzentriertes Prana
Prana ist die Energie, die das gesamte Universum durchzieht. Im Yoga definieren wir Prana auch als Lebensenergie und beschreiben deren verschiedene Funktionen im Körper. Prana heilt die Zellen im Körper und ist verantwortlich für viele Abläufe, wie beispielsweise die Verdauung. Wenn die Kundalini durch die Shusumna Nadi aufsteigt, zieht sich das Prana in diesem Kanal zusammen.
Die Kundalini-Energie ist somit konzentriertes Prana. In diesem Zustand verringern sich alle Abläufe im Körper, und selbst der Atem sowie der Herzschlag können für längere Zeit zum Stillstand kommen.
Techniken im Kundalini Yoga
Diese Techniken sollten unter der Aufsicht eines erfahrenen Lehrers durchgeführt werden. Sie beinhalten klassische Hatha-Yoga-Techniken mit dem Fokus auf Kriya Yoga – der Reinigung des grobstofflichen und feinstofflichen Körpers. Zudem wird die Energie im Wurzelchakra aktiviert, um die Kundalini sozusagen anzustoßen.
- Asanas (Körperhaltungen): Im Vergleich zu anderen Yoga-Stilen legt diese Praxis besonderen Wert auf dynamische Abfolgen, die darauf abzielen, die Energie in den Nadis (Energiekanälen) zu aktivieren und Blockaden zu lösen. Der grundlegende Fokus liegt dabei auf der Dehnung und Kräftigung der Wirbelsäule.
- Pranayama (Atemübungen): Atemtechniken sind entscheidend, um die Energie im Körper zu steuern. Techniken wie die „Feueratmung“ (Kapalabhati) oder die „Wechselatmung“ (Nadi Shodhana) spielen eine zentrale Rolle.
- Mudras (Handgesten) und Bandhas (Körperverschlüsse): Durch bestimmte Handgesten und Körperverschlüsse wird die Energie im Körper kanalisiert und konzentriert. Ein häufig verwendetes Mudra ist das Gyan Mudra, bei dem Daumen und Zeigefinger zusammengeführt werden. Bandhas wie das Mula Bandha (Wurzelverschluss) helfen, die Energie im Körper zu halten und nach oben zu leiten.
- Mantras (Klangvibrationen): Der Einsatz von Mantras, wie „Sat Nam“ oder „Ong Namo“, ist ein weiterer wichtiger Aspekt. Mantras nutzen die Kraft des Klangs und der Vibration, um den Geist zu fokussieren und die Energie zu erhöhen. In dieser Yoga-Praxis werden Mantras oft in Kombination mit Atemtechniken und Meditation verwendet.
- Meditation: Letztendlich werden wir ohne Meditation niemals zu einer Kundalini-Erweckung gelangen. Wir können hier und da ein Erlebnis mit Kundalini haben, doch eine vollständige Erweckung findet im Samadhi statt, der Phase der kompletten Absorption mit dem Selbst.
Anleitung für Kirtan Kriya
Die Kirtan Kriya ist eine der bekanntesten Meditationspraktiken und wird oft als Einführung in das Kundalini Yoga empfohlen. Diese Meditation kombiniert Atem, Klang und Bewegung, um den Geist zu beruhigen und die Energiezentren zu harmonisieren. In der yogischen Meditation integrieren wir häufig Farben, Klang und Formen, um den Geist effektiv zu fokussieren. Diese Praxis kann auch von Anfängern problemlos selbst durchgeführt werden.
Ausführung der Kirtan Kriya:
- Position: Setze dich in eine bequeme, aufrechte Sitzhaltung, entweder im Schneidersitz (Sukhasana) oder auf einem Stuhl mit den Füßen flach auf dem Boden. Halte die Wirbelsäule gerade und die Hände auf den Knien mit den Handflächen nach oben gerichtet.
- Mantra: Beginne, das Mantra „Sa Ta Na Ma“ laut auszusprechen. Dieses Mantra steht für den Lebenszyklus: „Sa“ bedeutet Geburt, „Ta“ bedeutet Leben, „Na“ bedeutet Tod und „Ma“ bedeutet Wiedergeburt. Jede Silbe sollte beim Ausatmen rezitiert werden.
- Mudras: Während du das Mantra rezitierst, führe die folgenden Mudras mit den Fingern aus:
- „Sa“: Drücke die Daumen und Zeigefinger zusammen.
- „Ta“: Drücke die Daumen und Mittelfinger zusammen.
- „Na“: Drücke die Daumen und Ringfinger zusammen.
- „Ma“: Drücke die Daumen und kleinen Finger zusammen.
- Atem: Atme ruhig und gleichmäßig, während du das Mantra wiederholst. Beginne mit dem Lautausdruck des Mantras, wechsle dann nach einigen Minuten zu einem Flüstern und schließlich zu einer stillen Wiederholung im Geist. Kehre in umgekehrter Reihenfolge zurück – vom stillen Wiederholen zum Flüstern und werde dann wieder lauter.
- Dauer: Diese Meditation kann 10 bis 30 Minuten dauern. Eine häufige Struktur ist: 5 Minuten laut, 5 Minuten flüsternd, 10 Minuten still, 5 Minuten flüsternd und 5 Minuten laut.
- Abschluss: Beende die Meditation, indem du tief einatmest, das Mantra mental wiederholst und langsam ausatmest. Lasse die Hände ruhen und spüre die Energie, die durch den Körper fließt. Verweile einige Minuten in Stille.